Mythos Wald – Molsberg

(English below)

Eröffnung: Sonntag, 12. September 2021, 14 bis 18 Uhr
Begrüßung und Einführung 14:30 Uhr

Künstler & Künstlerinnen:
Hannu Karjalainen, Gisela Krohn, Juyoung Paek, Annette Philp, Kristine Oßwald, Alexander von Schlieffen, Henrik Schrat, Attila Szucs, Thomas Thiede, Rosemarie Trockel

Ausstellungsdauer: bis 31.10.2021
Öffnungszeiten: Mi-Fr 14-19 & Sa 14-16 Uhr

Kinder Kunst Workshop mit Dr. Annette Philp
Der Workshop wird Corona bedingt mit der Klasse 3 der Grundschule am Eichberg/Wallmerod abgehalten.

Hofkonzert zur Ausstellung: Sonntag, 26.09.2021, 15 Uhr
Kirill Troussov (Violine), Ribal Molaeb (Viola), Benedict Kloeckner (Cello)
Ludwig van Beethoven, Trio D-Dur für Violine, Viola und Violoncello, op. 9,1
Herbert Willi, Kairos im Kronos 1756/1956 für Streichtrio (2005)
Ernö von Dohnanyi, Serenade C-Dur für Violine, Viola und Violoncello op. 10

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Man kann sich kaum vorstellen, wie es im Herzen Europas einmal ausgesehen haben muss. In der Germania des römischen Historikers Tacitus wird die Landschaft nördlich der Alpen als düsterer, ja erbarmungsloser Ort beschrieben, im Zentrum seiner Ausführungen steht der Wald. Doch wie fast überall in Europa sind auch in Deutschland die Urwälder seit vielen Jahrhunderten verschwunden und mit ihnen die Wildnis, die Dunkelheit und jenes Unergründliche, das im Zusammenspiel der sich selbst überlassenen Lebensformen entsteht. Was jedoch lebendig blieb, ist ein besonderes kulturelles Verhältnis zum Wald, das sich aus einer kollektiven Erinnerung an diese einstige Urtümlichkeit zu speisen scheint. Insbesondere brachte dies eine Symbolik hervor, die von den Baumkulten der Nordischen Mythologie bis zur ambivalenten Überhöhung des Waldes in der Epoche der Romantik reicht. In allen Ländern, in denen es Wälder gibt, findet man den Wald als Schauplatz von Geschichten. Derzeit lässt sich eine neue Hochkonjunktur beobachten, wenn sich im Unterhaltungsangebot der Streamingdienste Serien tummeln, die sich ganz offensiv der Naturkulissen bedienen. Der besondere Reiz besteht im Doppelgesichtigen des Motivs, liegen doch im Wald das Heimelige wie das Schaurige beieinander. Dies wiederum erlaubt jeder Erzählung, so abstrakt sie sich auch geben mag, jederzeit einen Stimmungswechsel zu vollziehen.

Mit einer Gruppenausstellung zur mythischen Seite des Waldes fügen wir der Ausstellungsreihe Change!, die sich mit dem faktischen Wandel im Verhältnis von Mensch und Umwelt beschäftigte, einen wichtigen Aspekt hinzu. Im Zusammentreffen von zehn künstlerischen Positionen ergibt sich eine facettenreiche Collage des Waldes, die sein Geheimnis sowohl unerbittlich düster als auch in strahlenden Farben zeigt.

Henrik Schrat zeigt mit seiner kürzlich erfolgten Neubebilderung der Grimm’schen Märchen, wie sich diese überlieferten Erzählungen in unser heutiges Leben zurückbringen lassen. Moderne Figuren und städtische Architektur brechen in die romantische Szene eines Waldsees ein. Schrat hinterfragt mit seinen Zeichnungen die Statik des Märchen und macht deutlich, dass auch die starrste Textform dank visueller Mittel transformierbar bleibt. Ähnlich beschäftigt sich Annette Philps Videoarbeit mit der Rolle des Waldes, in dem Frauen als helfende, wissende und heilende Wesen agieren – verschiedene Überlieferungen und Glaubensvorstellungen überspannend. Ausgehend von den Merseburger Zaubersprüchen und ihren rätselhaften Idisen, die Gefangene von ihren Fesseln befreien und ein verletztes Fohlen heilen, spannt sie einen Bogen zu dem in der christlichen Kultur über Jahrhunderte wiederkehrenden Motiv der Drei Jungfrauen. Für die Malerin Gisela Krohn erlaubt die Art und Weise, wie wir uns ein Bild von unserer natürlichen Umgebung machen, immer auch einen Rückschluss auf die Natur des Menschen. Sie füllt die Leinwand mit flüssigem, dünnem Farbauftrag und zeigt, wie empfindlich sowohl die Natur als auch unser Blick darauf sein können. Das Gemälde des ungarischen Künstlers Attila Szücs wirkt dagegen wie die Erinnerung an ein Erlebnis, dessen wir uns in Teilen genau und in anderen nur noch nebulös entsinnen. Wird aus den malerischen Strukturen ein Reh mit hohlen Augen, das sich im zersetzenden Hintergrund verliert? Zwei Wasserfälle oder doch eher Haarlandschaften sind trotz ihrer fotorealistischen Ausführung kaum zuzuordnen. Alexander von Schlieffen hat sich und uns die Pilze, die wohl rätselhaftesten Bewohner des Waldes, malerisch erschlossen. Mit den Fruchtkörpern nur einen Bruchteil ihrer Existenz preisgebend, verzweigen sie sich unter dem Erdboden und gestalten ihren Lebensraum als Träger unsichtbarer Botenstoffe aktiv mit. Die zweifarbige Ausführung in Blau-Orange-Tönen korrespondiert mit der scheinbar unüberbrückbaren Distanz zwischen den Lebensformen. Dass diese letztlich in zyklischen Prozessen zusammenhängen, zeigt die Arbeit Kristine Oßwalds. Anhand einer fotografischen Langzeitaufzeichnung über biologische Zerfallsprozesse zeichnet die Künstlerin nach, wie Zersetzung und Neubevölkerung, Fäulnis und Pilze, aber letztlich auch Mensch und Natur miteinander verwoben sind. Der große weiße Hirsch der Keramikerin Juyoung Paek entstammt einer Werkgruppe, die sich mit dem Traum befasst. Aller Farbigkeit enthoben erscheint der Hirsch als Archetyp einer neuen Art. Dank seiner kubistischen Form erweckt er gleichzeitig den Eindruck, als habe man die Symbolik des Tiers, das nach weitläufiger Auffassung Stärke verkörpert, in eine andere Richtung umgeleitet. Hier steht er nun für die Hoffnung, die sich ebenfalls ständig erneuern muss. Demgegenüber schafft Thomas Thiede die weiße Rekonstruktion eines „denkenden“ Baumes, hergestellt aus Zellulose. Mit der Verwendung dieses Materials erinnert er uns daran, dass das komplexe Ökosystem Wald aus nur wenigen Elementen einen unendlich reichen Kosmos erschafft. Der finnische Multimediakünstler Hannu Karjalainen wiederum nimmt sich für seine neueste Videoarbeit die menschengemachte Ökokatastrophe zur Grundlage für eine abstrakte Erzählung über die Unvorhersehbarkeit und Unheimlichkeit von Transformationen. Mittels Sichtbarmachung und Integration von digitalen Glitches und anderen algorithmischen Fehlern digitaler Videobearbeitung, ist er in der Lage, irritierende Bewegung in stille Waldszenen zu bringen und auf Brüche zu verweisen, die entstehen, wenn sich ein Prozess durch äußere Einflussnahme unnatürlich beschleunigt. Eine ganz besondere Übersetzung der Mystik des Waldes liefert letztlich Rosemarie Trockel. Ihr neuestes Werk ist ein Duft, den sie in Zusammenarbeit mit einem Kölner Label als Edition entwarf. „A walk in the woods with animal crossing. A bush is a bear.“ So beschreibt die Künstlerin die Wirkung in der Nase. Möge sich dieser mysteriöse Eindruck wie ein Schleier über die Ausstellung legen.



Forest Myths
It’s scarcely imaginable how, once upon a time, the landscape appeared in the heart of Europe. In his Germania Tacitus, the Roman historian, describes the area north of the Alps as being a gloomy and merciless place with ‘The Wood’ at the heart of his depiction.  However, as almost everywhere else in Europe, in Germany too primaeval forests vanished many centuries ago – and with them wilderness, darkness, and that unfathomability arising in interaction with life-forces left to themselves.  
What remains is a particular cultural relationship with the forest, which seems to feed on collective memory of an elemental nature.  That gave rise specifically to a symbolism extending from Nordic mythology’s tree-cults to ambivalent preoccupation with woodland in the age of Romanticism. In all forested countries the wood is a place of stories.  At present there is a new boom where the entertainment offered in streamed films very clearly makes use of nature. The specific attraction entails a dual aspect; in the forest the cosy and the blood-curdling are closely related. That in turn allows any narrative, no matter how abstract it may seem, to bring about a change of mood at any moment.  

The Change ! sequence of exhibitions, concerned with a transition in the relationship between humanity and its environment, adds an important element with group presentation of mythical aspects of the forest. This coming together of ten different artistic approaches gives rise to a multi-faceted collage of the wood, presenting its mystery as both relentlessly sombre and radiantly colourful.

Henrik Schrat shows in his new illustrations for Grimms Fairy Tales how these traditional stories can play a part in our contemporary existence. Modern characters and urban architecture break into the romantic setting of a forest lake. In his drawings Schrat investigates the structure of this tale and makes clear that even the most fixed form of narrative remains transformable, using visual means. Annette Philip also employs video to demonstrate the part played by woods with women helping, knowing, and healing, ranging across various traditions and beliefs. Starting with Merseburger magic spells and their mysterious powers, which free prisoners from their chains and heal an injured foal, she makes a connection with the Christian motif of the Three Virgins, recurring across centuries. For Gisela Krohn, a painter, the way in which we create for ourselves a picture of our natural surroundings also always permits the drawing of conclusions about human nature. She fills the canvas with a flowing  application of paint, showing how sensitive both nature and our perception can be. On the other hand the painting of Hungarian artist Attila Szuecs seems like the memory of an experience, parts of which we remember accurately while the rest remains nebulous. Will his painterly structures become a deer with vacant eyes, which disappears into a disintegrating background ? Two waterfalls, or perhaps landscapings of hair, can scarcely be recognised despite their photorealistic presentation. In his work Alexander von Schlieffen has disclosed, both for himself and for us, the fungi which are probably a wood’s most mysterious inhabitants. The fruiting body reveals only a fraction of its existence where fungi branch out beneath the earth’s surface and, as embodiments of invisible matter, structure their living-space. The depiction in shades of blue and orange accords with the seemingly unbridgeable distance between these forms of life. The fact that these are ultimately linked is shown in the work of Kristine Osswald. Using a long photographic exposure in recording processes of biological decay, the artist follows how disintegration and repopulation, rotting and fungi, and ultimately human beings and nature are interwoven  processes. Ceramicist Juyoung Paek’s large white stag comes from a group of works devoted to dreams. Deprived of all colour, the stag appears to be a new kind of archetype. Thanks to the cubistic form it simultaneously arouses the impression that the associated symbolism, widely thought to embody strength, has been diverted into another direction. Here this stands for hope which must also constantly renew itself. In contrast Thomas Thiede has created a white reconstruction of a “thinking” tree, made from cellulose.  His use of this material reminds us that a forest’s complex eco-system creates an endlessly rich cosmos out of just a few elements. In his most recent video work Hannu Karjalainen, the Finnish multi-media artist, takes ecological catastrophe brought about by human beings as the basis for an abstract narrative of the unpredictability and uncanny nature of transformations.  By making visible and integrating digital glitches and other algorithmic errors in video-processing, he becomes able to bring disturbing movement into tranquil woodland scenes and to draw attention to the discontinuities which arise if a process is unnaturally speeded up by introducing external influences.  
Rosemarie Trockel offers a very special transposition of forest mysticism. Her latest work is a scent devised as an art-work in conjunction with a Cologne company. “A walk in the woods with an animal crossing the path. A bush is a bear” is her description of the scent’s impact on a nose. May this mysterious sensation permeate the exhibition as if veiling it.


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