New Horizon

Eröffnung: 08. Mai 2021, 14 Uhr

Begrüßung und Einführung 14:30 Uhr

Ausstellungsdauer: 09.05. – 08.07.2022



(English below)


Als 1968 aus der Kapsel der Apollo-8-Mission heraus die ersten Menschen unseren blauen Planeten in voller Gänze zu sehen bekamen, löste dies in Ihnen eine spezifische Überwältigung aus, die sich in späteren Schilderungen von Raumfahrern immer wiederfand, und die der Weltraum-Philosoph Frank White später den Overview-Effekt taufte. Der Anblick der Erdkugel vor dem unerbittlichen Schwarz des Alls rüttelt, so scheint es, alle Gewissheiten durcheinander und erzeugt ein umgehendes Bewusstsein dafür, dass im Kosmos und seiner unermesslichen Geschichte und seiner noch unermesslicheren Zukunft, alles substanziell zusammenhängt.

Der slowakische Künstler Svätopluk Mikyta hat für eine seiner jüngsten Serien insgesamt 10 Glaskugeln geschaffen, die unserer Erde sehr ähnlich sind. Die Zerbrechlichkeit, die ihr Titel (On fragility) anspricht, zieht sich durch alle Bedeutungsebenen dieser vielschichtigen Arbeit hindurch. Mikyta arbeitete mit einer traditionsreichen nordböhmischen Glasbläserei zusammen und erschuf seine Objekte in einem akribisch geplanten und im Ergebnis letztlich doch nicht vollständig berechenbaren Prozess als erdähnliche Unikate, die ebenso wie ihr großes Vorbild von einzigartigem Wert und dennoch alles andere als unantastbar sind. Wie alle jüngeren Arbeiten des Künstlers lenkt auch diese unsere Aufmerksamkeit auf den Zusammenhang zwischen der ureigenen Bedeutung einer Sache und ihren Eigenschaften als Teil eines Systems. Es geht um den Unterschied zwischen dem mikroskopischen und dem makroskopischen Blick und wie man die Dissonanzen, die sich zwischen beiden ergeben, auflösen kann.

Angesichts unserer eigenen kosmischen Bedeutungslosigkeit als Spezies können wir uns in diesem Sinn bei der Interpretation der Menschheitsgeschichte getrost auf den Kleinstbereich des gegenwärtigen Zeitalters beschränken und dort durchaus Bedeutung finden, denn hier haben wir neben einem rationalen Zugriff auch die Möglichkeit einer Einflussnahme. Im distanzierten Blick zurück werden wir bald, auch wenn es gerade so scheint als bräche alles mit unkontrollierter Wucht auf uns ein, ein Gesamtbild aus allen Teilkrisen dieser bewegten Zeit zusammenfügen können, das auf ein und dieselbe Ursache verweist: Eine mangelhafte Ehrfurcht dem Leben gegenüber, die jedoch nie unwiederbringlich verloren ist.

Genau dies – das Leben selbst – verbindet alle jüngeren Werkserien Mikytas, die für diese Ausstellung zusammenkommen. Stark geprägt von der Stilllegung des öffentlichen Lebens während der Pandemie ist seine Serie Terra Poetic Pieces. Eine handgezeichnete horizontale Linie in Schlaufen erzeugt in der Nahsicht ein strenges, wenn auch nicht unbewegtes Raster. Aus natürlichem Abstand ergeben sich durch Abbrüche und Farbwechseln bei der Tinte abstrakte Formen. Das spontane Moment der abstrakten Zeichnung wird hier ersetzt durch einen planvollen Prozess, in dem sich etwas Großes aus dem Kleinen ergibt. Die vermeintlich klare Trennlinie zwischen Darstellung und Imagination, zwischen menschlicher Arbeit und Expressivität, hebt sich auf. Die Zeichenserie überträgt darüber hinaus die Bedeutung von Bewegung und Rhythmus als Indikator der Existenz von Leben auf die zeichnerische Tätigkeit. Es ist ein fortlaufender Prozess innerhalb klarer Grenzen (die Ränder des Papiers), eine immer wieder abreißende und neu ansetzende Linie in wechselnden Farben – in der Zeichnung wie auch im Leben.

Für eine Serie von grafisch anmutenden Cyanotopien (Funghi Cyani), die bereits während der Pandemie entstanden, ordnete er verschiedene Pilzarten aus den Wäldern seiner Heimat in der Ebene an und verewigte sie mittels fotografischer Belichtung. Der Wechsel von symmetrischen und organischen Kompositionen korrespondiert mit dem Eigenleben und den undurchdringlichen inneren Gesetzen dieser Lebensform, die uns so fremd ist, und die wir doch im Licht menschlicher Kategorien verstehen und von der wir lernen können: Man spricht vom Myzel als unterirdisches Netzwerk und von seinen unsichtbaren Botenstoffen, wir sehen langfristige Besiedlungen von sogenannten Habitaten und überall Koexistenzen verschiedenster Organismen an ein und  demselben Ort. In der Summe der einzelnen Blätter ergibt sich eine sehr eigene, mosaikartige Ästhetik und in der Gesamtheit entsteht der Eindruck einer Genealogie, verfasst in einer Sprache die wir erst in Ansätzen verstehen.

Während Mikytas Blick sich für die oben beschriebenen Werke in unsere Gegenwart und auf die Mysterien und Muster hinter allem gerade Lebendigen richtet, ging es bei seinen früheren Werken vordergründig um menschliche Geschichte und ihren kulturellen Kontext. Dieser findet sich in seiner Arbeit Stalaktos unitas wieder, für die er Lampenhalterungen der Beleuchtung des zentralen Busbahnhofs in Bratislava rettete, bevor diese dem Abriss und Neubau zum Opfer fallen konnten. Auch hier ist es das Material Glas, das als Botschafter von einer zerbrechlichen und vom Wandel bedrohten Existenz berichtet und den Fundstücken zu neuem Leben als Lichtskulptur verhilft. Mikyta hat seine Kunst in den letzten 20 Jahren konsequent weiterentwickelt und dabei eine sowohl technisch als auch thematisch sehenswerte Vielfalt entstehen lassen. Das Objet trouvé steht im Werk Mikytas dabei als roter Faden stellvertretend für eine integrative Kunstauffassung, die das Kunstwerk untrennbar verbunden weiß mit der Gesellschaft aus der es erwachsen ist und in die es als Kulturgut im Ausstellungsraum zurückkehrt. 


In 1968 the Apollo 8 Mission crew became the first human beings to see our blue planet in all its grandeur, which gave rise to a specific sense of being overwhelmed, occurring time and again in later descriptions of space flight. Frank White, the philosopher of space, dubbed this the Overview Effect. It seemed as if this view of Planet Earth, seen against the relentless black of the Universe, called into question all certainties, and generated growing awareness that everything is interconnected in the Cosmos, its immeasurable history, and even more incalculable future.

Svätopluk Mikyta, a Slovakian artist, made ten glass spheres, very similar to our earth, for one of his most recent series of works, entitled On Fragility. This fragility applies to all levels of significance in this many layered creation. Mikyta worked with a long-established North Bohemian glassworks creating unique earth-like objects in a meticulously planned yet ultimately not completely controllable process. Like their great model these objects are uniquely valuable yet anything but sacrosanct. As in all the artist’s most recent works this one also draws our attention to the connection between an object’s original significance and its characteristics as part of a system.  This involves the difference between a microscopic and a macroscopic view and how one can resolve the consequent dissonances between the two.

Taking into account our species’ cosmic insignificance when interpreting the history of humanity, we can confidently limit ourselves to the minimal realm of the present age and have no difficulty in finding significance. After all we can act rationally and have the possibility of exerting influence. Looking back from the future we will also soon – even though at present it seems that all hell is breaking out – be able to assemble an overall picture of all the partial crises in this time of upheaval, pointing towards one and the same cause: a lack of reverence for life which is however never a lost cause.

It is precisely life itself that links all the more recent series of Mikyta’s works assembled in this exhibition. His Terra Poetic Pieces are strongly influenced by the closing down of public life during the Covid pandemic. When looked at closely a hand-painted horizontal line generates a strict but not immobile framework. Seen from a natural distance abstract forms emerge through ruptures and changes in colour.  Here the spontaneous moment created by the abstract drawing is replaced by a systematic process where what is small gives way to something large. The apparently clear-cut dividing-line between depiction and imagination, between human work and expressiveness, is dissolved. In addition this series of drawings communicates the importance of movement and rhythm as indicating life’s presence in the activity of drawing. This is an ongoing process within clear limits (the edges of the paper) and a line in changing colours time and again breaks off and then starts anew – in both the drawing and in life.

For a series of Cyani Fungi, which seem like graphics produced during the pandemic, he arranged various mushrooms from the woods of his homeland, and perpetuated their existence under photographic lighting. The transition between symmetrical and organic compositions accords with the actual existence and the impenetrable inner laws of this form of life, so alien to us, and yet which we comprehend in the light of human categories as a basis for our learning. People speak of a mycelium as an underground network with its invisible neurotransmitters; and we see long-term settlements as habitats; and everywhere the co-existence of the most diverse organisms in one and the same place. The totality of individual leaves gives rise to a very particular mosaic-like aesthetic and an overall impression of a genealogy expressed in a language that we are only just beginning to understand.

Today Mikyta’s work is mainly devoted to what has just been described and to the patterns and mysteries underlying all life, but previously he was principally concerned with human stories and their cultural context. That finds expression in Stalaktos Unitas where he saved parts of the lamps in Bratislava’s main bus-station before the building was knocked down and replaced. Here too glass is used for communicating the fragility of existence when threatened by change, and given new life as sculpted light. Over the past 20 years Mikyta has systematically developed his art, resulting in work that is technically and thematically of great interest. Objet trouvé’ serve as a linking element in an integrative view of art, presenting artworks as inseparably linked with the society out of which they have grown and to which they return as culture on show in an exhibition.

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